Plitsch platsch.
Es war ein Mittwochnachmittag. Wenige Sonnenstrahlen schoben sich durch die Wolkendecke wie Flöhe durch zu feste Schafswolle. Sie spiegelten sich in dem abgegriffenen Taschenmesser des Jungen wider.
Plitsch platsch fielen die Regentropfen hinab und durchnässten die mit Moos umschlossene Steinmauer, auf der er saß. Mit dem Messer pulte er die Kellerasseln und Mikroben aus den Tiefen der Mauerritzen. Zuvor hatte er ein Kreuz in der obersten Schicht des Gesteins verewigt. Vier Ecken hat ein Kreuz, dachte er. Es roch nach Vergänglichkeit.
Plitsch platsch.
"Viel kleiner gewachsen als die anderen Kinder aus seiner Klasse", hatte seine Lehrerin mit wippend nickendem Kopf gesagt. Doch Größe war ihm nicht abzusprechen. Im Gegenteil. Schließlich hatte er sich letzten Montag als einziger getraut zu springen. Von dem oft viel zu glitschigen und an einigen Ecken bröckelnden Mauerwerk. Er hatte sich vorgestellt abzuheben, hineinzutauchen in die Windungen der Luftschichten und mit seiner eigens ausgebildeten Aerodynamik sanft auf dem Boden zu landen. Weich war die Landung nicht gewesen. Sein rechtes Schienbein hatte geblutet. So war das immer bei ihm. Er sprang und dann fiel er. Da fiel nicht er, sondern sein Blick auf die Mauerspalte unter seiner linken Kniebeuge. Aus den tiefen Irrungen des kalten Gesteins wand sich ein Stiel, an dessen Ende sich vier lindgrüne Kleeblätter entfalteten. Vier an der Zahl. Nicht drei sondern vier, dachte er. Vier Ecken hat ein Kreuz. Vier Blätter Klee. Dort in der Fuge zwischen den Steinen. Da kroch das Leben aus dem Schatten empor.
Zögernd kam er auf der Mauer zum Stehen, schaute hinab. Das Kleeblatt wippte im Wind, schien ihn zu beobachten. Er breitete die Arme aus, atmete tief ein und sprang. Flog, segelte durch die ihm entgegenkommenden luftigen Zweifel. Durchbrach sie.
Wind im Haar, Glück im Rücken.
– Saskia Keitel • Vikarin in Kirchgellersen –