Es gibt da einen Platz östlich der Stadt, sagen sie.
Wer dorthin geht, kommt verändert zurück.
Im Kidrontal, im Garten Gethsemane, da ist Leben.
Hier finden millionen Prozesse statt, die Leben bedeuten.
Abermillionen Blätter betreiben leise Fotosynthese.
Wenn Menschen jeden Alters diese unsichtbare Grenze überschreiten, verschlucken sie sich kurz.
Sie saugen ihre Lungen übervoll mit Sauerstoff, mehr als sie brauchen und plötzlich werden sie ganz anders im Kopf.
Hier ist der Friede greifbar, weich wie Wasser.
Hier dehnen sich alle Sekunden aufs Doppelte aus, denken sie.
Hier wird das eigene Herz zu einem Baum, es produziert Harz und sucht seine Klebepunkte.
Hier laufen gedankliche Linien aus der ganzen Welt hin,
und auch wenn die Menschen noch nichts davon wissen,
ist in Gethsemane ein Platz für sie.
Es gibt da einen Platz westlich der Stadt, sagen sie.
Wer dorthin gehen muss, kommt nicht zurück.
Niemand weiß so ganz genau, warum er Golgatha heißt.
Manche sagen, der Schädel Adams läge dort begraben,
manche denken, der Hügel habe sein eigenes Gedächtnis,
manche hören die Schreie der Verurteilten und spüren die Vibration in ihren Köpfen.
Wenn Kinder sich dorthin zum Spielen verirren, dürfen sie es ihren Eltern nicht sagen.
Der Wind riecht hier nach Leid und Tod und macht Gänsehaut.
Die helle Erde ist an manchen Stellen dunkelbraun und feucht und klumpig.
Wenn die Kinder hier spielen, dann spielen sie Kreuzigung und legen sich auf den Sand und strecken alle Gliedmaßen von sich weg, weil so geht Kreuzigung, denken sie.
Hier sterben Menschen, sagen sie, obwohl sie nicht mal wissen, wie man stirbt.
Golgatha ist ein Nein zum Leben
und das fasziniert die Kinder, sie wissen ja nicht mal, wie man bewusst Ja zum Leben sagt.
– Louisa Pandera • Vikarin in Jembke –