Punkt. Punkt. Punkt. Linie. Punkt. Linie.
Ich male Morsezeichen in den Staub auf der schwarzglatten Oberfläche des Fernseherfußes.
„Hier müsste mal jemand Staub wischen“, denke ich, und meine damit auch mich.
Wo kommt Staub eigentlich immer her?
Ich meine mich daran zu erinnern, dass es gut sein kann, dass man im Staub des Wohnzimmers auch die Asche eines nahen Verstorbenen findet.
Ich ziehe mein Smartphone aus der Tasche und google das.
Ah, das scheine ich mir ausgedacht zu haben.
Das mit den Verstorbenen ist beim Atmen.
Es sei tatsächlich so, dass wir immer noch den letzten Hauch aus dem Mund des sterbenden Julius Caesar einatmen würden, steht da. Bei jedem Atemzug atme ein Mensch 25 Trilliarden Moleküle ein – das ist eine 25 mit 21 Nullen – und als Caesar das letzte Mal atmete, begannen diese Moleküle eine Reise, durch Luftströme verteilten sie sich zuerst in Rom, dann Italien, dann der nördlichen Hemisphäre und schließlich über die ganze Erde.
Das ist der Grund dafür, dass wir täglich mehrmals mit Caesar in Kontakt kommen. Oder Jesus Christus.
Mit Sophie Scholl und Martin Luther King.
Mit Jeanne d‘Arc und Claude Monet.
Mit Menschen, die aufbrachen, um in der „Neuen Welt“ einen Neuanfang zu versuchen.
Mit Menschen, deren Gott Allah oder Zeus hieß. Mit Menschen, die versklavt wurden und Menschen, die aufgrund ihres Seins umgebracht wurden.
Mit großen Namen und längst vergessenen, weil nie konservierten Namen.
In jedem Atemzug sind mir andere Menschen so unglaublich nah, obwohl sie mich nicht kennen und ich sie nie kennenlernen durfte.
Niemals geht man so ganz, heißt das doch, und erst jetzt begreife ich, dass das naturwissenschaftlich gesehen wohl stimmt. Dass Trilliarden Moleküle uns für immer verbinden.
Ich setze noch ein paar Linien und Punkte in den Staub. Vielleicht werde ich übermorgen staubwischen. Heute will ich nur denken und atmen.
– Louisa Pandera, Vikarin in Jembke – gelesen von Jana Jäger